Zeit mit Toten - Meine Erfahrungen im Umgang mit Verstorbenen

"Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen, aber es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen." 

Aus den Anfängen der Bestatterzeit
Aus den Anfängen der Bestatterzeit
Meinem ersten Verstorbenen begegnete ich im Oktober 2015.
Am Anfang stand mir die Furcht vor dieser leblosen Hülle quasi ins Gesicht geschrieben. Warum wusste ich nicht, es war halt so, es gehörte sich eben so. Bei allen war es so und  mir wurde es eben so eingetrichtert. 

Das erste Körperteil, dass ich von einer Verstorbenen sah, war ihr Kopf. Es war ungewollt passiert und hatte mich kurz erschreckt. Ich erholte mich schnell, doch ob es allgemein für alle Toten so sein sollte, wusste ich nicht. 

Meine zweite Begegnung war nur wenige Wochen später, ein aufgebahrter Mann, nennen wir ihn Herr S. 
Herr S. sah so aus, als ob er nicht besonders alt geworden war, hatte einen Bart und sah verdammt friedlich aus. Ich hatte den Raum, an die Garage angrenzend nicht betreten wollen, doch mein Kollege zog mich an meiner Jacke näher und schließlich schubste er mich langsam ganz in den Raum. Ich wieserstrebte, doch dann ließ ich mich auf die Situation ein. Wir gingen näher an den Sarg heran, er fragte, ob ich ihn anfassen wolle, was mir zunächst einmal komisch vorkam. Nun fragte er mich, ob es denn so schlimm sei und ich verneinte es. Als sie ihn dann in die Kühlung schieben wollten, entschloss ich mich doch, auf weiteres Nachfragen seinerseits, ihn einmal am Arm zu berühren. Es war ungewohnt kalt und steif. Doch friedlich und beruhigend. Es war der erste Schritt in die richtige Richtung zu den Toten. Ich hatte nun weniger Angst. 

Ich war mir sicher, dass es nur noch wenige Wochen dauern würde, bis ich gänzlich die Angst verlieren würde. 

Im Dezember 2015 war es dann soweit, dass ich bei der hygienischen Versorgung dabei sein durfte. Ich hielt mich zunächst im Hintergrund in der Nähe der Tür, doch nach wenigen Minuten trat ich näher heran. Da es genug Menschen, sie die Versorgung durchführten, war mein Zutun nicht notwendig. Ich beteiligte mich schließlich, die Decke an den Seiten in den Sarg zu stecken. Das war sie also meine erste hygienische Versorgung. Dass ich diese Begegnung so gut gemeistert hatte, machte mir sehr viel Mut, dass es in Kürze kein Problem mehr sein würde und ich mich vollkommen daran gewöhnen werde.

Ende Februar war es dann letztendlich soweit. Ein anderes Praktikum in einem anderen Unternehmen. Nur ein ganz leichtes Unbehagen begleitete mich, als ich bei der Führung durch das Bestattungsinstitut zur Kühlung geführt wurde. Ich war aufgrund der ganzen Situation aufgeregt, aber vor allem habe ich mich auf die nächsten Tage voller neuer Erfahrungen sehr gefreut.

Als er die Kühlung öffnete, wurde ich wohl etwas blass im Gesicht, aber fühlte mich nicht irgendwie komisch. Es war wohl schon öfter vorgekommen, dass Praktikanten ohnmächtig geworden sind. Ich bin zum Glück nicht der Typ dafür und verkrafte solche Situationen relativ gut.

Eine Stunde später stand dann die hygienische Versorgung von mehreren Verstorbenen an. Nun musste ich also richtig mit anfassen. Der Mitarbeiter des Bestattungsinstituts führte mich sehr behutsam heran und nach wenigen Minuten war die Furcht vollständig verschwunden.
Es war ungewohnt und kalt, aber es fühlte sich nicht mehr falsch oder ungewohnt an. Von nun an machte es mir überhaupt nichts mehr aus zwischen mehreren Verstorbenen zu stehen oder mich in der Kühlung zu bewegen. Der Frieden und die Ruhe, die von Toten ausgehen umhüllte mich ab dem Zeitpunkt öfter. Ich bin sehr dankbar dafür. 

2 Jahre später

Als ich nach mehr als 2 Jahren, im März 2018, wieder mit Toten zu tun haben sollte, wurde ich nachdenklich. Würde ich wieder ein bisschen Furcht verspüren? Würde ich aufgeregt sein? 
Nein würde ich nicht. Als ich unerwartet eine Verstorbene sehen durfte, war ich es, die als einzige die jenige war, die am nächsten an den Sarg herantrat. Ich hatte keine Angst, im Gegenteil, es war ein Moment der totalen Ruhe. Es entspannte mich. Es gab mir Ruhe für die nächsten Wochen. 

Wenige Wochen später folgte ein drittes Praktikum, wieder in einem anderen Bestattungsinstitut, dieses Mal in einer größeren Stadt. Hier durfte ich zum ersten mal Krankenhausabholungen mitmachen. 
Mehrere an einem Tag. Obwohl es eine komplett neue Situation war fühlte ich mich auch hier nicht unbehaglich oder gar unsicher. Ich war neugierig und bereit neue Dinge zu lernen und meinen Erfahrungsschatz zu erweitern. 
Bei einer Versorgung konnte ich leider nicht dabei sein, aber das störte mich nicht. 


8 Jahre später Sommer 2023


Da ich meine berufliche Zukunft in diesem Bereich sehe, habe ich mich um ein weiteres Praktikum bemüht mit der Aussicht auf Festeinstellung. 


Es folgte also ein viertes Praktikum im Sommer 2023. Auch hier hatte ich natürlich mit Verstorbenen zu tun. 


Der Anblick in der Kühlung kam mir bekannt vor und auch die Versorgung war mir nicht mehr unbekannt. 


Wir bereiteten zusammen den Sarg vor und kleideten anschließend die Verstorbene ein. 


In dieser Zeit machte ich auch zum ersten Mal Bereitschaftsdienst mit. Um 2:20 Uhr kam der erste Anruf. Also hieß es schnell aufstehen, anziehen und warten, bis der Kollege mit dem Auto da ist. Anschließend folgte eine längere Autofahrt bis zum Pflegeheim. Ich war überhaupt nicht mehr müde, überwiegte da ganz klar die Neugier auf diese neue Situation. 


Am Pflegeheim angekommen, luden wir die Trage aus dem Auto, zogen die Handschuhe an und klingelten. Zunächst keine Reaktion. Also standen wir mehrere Minuten hinter dem offenen Auto mit der Trage. Und irgendwann kam dann eine gestresste Mitarbeiterin und öffnete, so schnell sie gekommen ist, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Wir hatten die Info, dass wir in den 2 Stock sollen. Dort war aber niemand aufzufinden. Nach kurzer Zeit kam uns ein Pfleger entgegen und brachte uns in das richtige Zimmer.